Braucht so ein Pferd was zum Anziehen?
Für und Wieder des Eindeckens bei Pferden
Zu welcher Fraktion gehörst du? Die, die ihre Pferde im Herbst eindecken und die Decke erst im Frühjahr wieder verräumen oder jene, die jede Art von Schutz und sei es auch nur eine Abschwitzdecke, mit Bomben und Granaten verteufeln, weil nicht artgerecht? Oder gehörst du eher zu den Mitteldingern? Mal ja, mal nein. Oder bist du vielleicht von der Sorte, die ihr Pferd grundsätzlich schert und es dann mit fünf Decken einpackt?
Macht das Sinn? Ist es richtig ein Pferd einzudecken? Ist es natürlich oder wider seiner Natur? Kommen Pferde ohne Decke klar? Muss man, muss man nicht?
Fragen, die man ruhig ins Netz stellen kann und schon hat man eine Abendlektüre bei einer Bottle Rotwein und drei Tüten Chips. Die Meinungen gehen da definitiv sehr auseinander und jeder glaubt, es richtig zu machen. Logisch, der Gaul im Offenstall, der im Winter genau dreimal geritten wird, braucht natürlich seine verdammte Decke, während der glatt geschorene Dressurstar im Stall selbstverständlich völlig ohne auskommt. Fragt sich jetzt nur, was natürlich ist, und was jetzt nicht. Pferde tragen doch in freier Wildbahn auch keine Decke und kommen mit Kälte, Nässe und Schnee gut klar ….
Halt!!!
Jetzt wollen wir mal ein paar Dinge auseinanderhalten.
Wildpferde, zum Beispiels die Mustang in den USA, leben das ganze Jahr draußen auf zick quadratmetergroßen Flächen in völliger Freiheit. Sie überleben starke Hitze, tiefste Kälte und Schnee … so glaubt man. Würde man Mustang tatsächlich vollkommen ohne jede menschliche Hilfe sich selbst überlassen, gäbe es eine hohe Ausfallquote. Im Frühjahr sind Abfohlzeiten, und wie wir alle wissen, fohlt nicht jede Stute komplikationslos ab. Liegt das Fohlen verkehrt, oder gibt es andere unvorhergesehene Dinge, dann verliert sie das Fohlen oder stirbt selbst, vor.- während,- oder auch nach der Geburt. Das Leben in freier Wildbahn gänzliche ohne menschliche Hilfe ist auch im Sommer nicht immer leicht. Es warten ganz natürliche Gefahren, wie Bodenlöcher und Erdspalten, wo sich die Pferde die Beine brechen können. Es lauern Raubtiere, die in Fohlen eine nette Beute sehen, Wasser kann im Sommer knapp werden, genauso wie Futter, wenn Trockenperioden anhalten. Im Herbst, wenn es dann kalt wird, lauern die gleichen Gefahren. Natürlich haben Mustang ein dickes Fell und schaffen es durchaus, der Kälte und dem Schnee zu trotzen, aber wenn es endlos geschneit hat und Frost den Boden zu einem harten Untergrund macht, wird es selbst für Wildpferde schwer, Futter zu finden. Genauso verhält es sich mit Wasser. Frisst so ein Pferd zu wenig, hat es nicht die Energie, um sich warm zu halten und erfriert. Fetzen Blizzards über das Land, leiden freilebende Tiere. Manche bleiben im Schnee stecken, andere verhungern, manche verdursten, einige erfrieren. Genauso verhält es sich in anderen Gebieten, wo es wildlebende Pferde gibt. Die Natur sortiert gnadenlos aus.
Jetzt gibt es da aber Menschen, die diese Tiere füttern, auch in den USA. Dadurch ist die Chance für Mustangs zu überleben, natürlich wesentlich höher. Fakt: Der Mustang hat sich derart vermehrt, dass man nicht mehr weiß, wohin mit den vielen Pferden, macht jährliche Roundups, fängt die Tiere ein und pfercht sie in Korrals, wo sie auf Adoption warten. Viele Pferde verbringen dort ihr restliches Leben. Etliche sterben bereits beim Roundup oder bei dem Versuch, aus der Gefangenschaft auszubrechen. Wie viele es sind, kann ich nur vermuten, wenig bestimmt nicht.
Also … ganz ehrlich, was hat das noch mit artgerecht zu tun?
So, wir haben jetzt unsere Pferde zuhause und sie leben alle in menschlicher Obhut. Der eine Hüa, Sportpferd durch und durch, der nach dem Winter wieder viel auf Turnier fährt, steht in der Box, wird behütet und natürlich auch trainiert. Diese Pferde sind oft eingedeckt, da sie geschoren wurden, damit sie beim Training nicht so schwitzen bzw. schneller wieder trocknen. Oftmals bekommen diese Pferde auch kein wirklich dichtes Winterfell, da sie zu hoch im Blut stehen und viel Fell absolut hinderlich wäre.
Etliche Pferde stehen auch in Offenställen. Ob sie jetzt das Nonplusultra zur Boxenhaltung sind, weiß ich nicht. Diese Pferde haben oft nur einen Unterstand. Der Boden rund um den Unterstand ist nicht selten feucht und matschig, besonders in Übergangszeiten, natürlich weniger in heißen Sommerwochen. Offenstallpferde teilen sich eine Futterraufe mit anderen Pferden, wo es schon mal Gedrängel oder auch Streitereien gibt. Diese Pferde haben sehr oft ein sehr dickes Fell und trotzen der Kälte. Sie werden üblicherweise selten bis nie eingedeckt.
Jetzt stellt euch bitte ein altes Pferd vor, dass seine Leistung bereits erbracht hat. Früher wurde es in der Box gehalten, gehegt und gepflegt, ständig geritten, trainiert und geshowed, dann wandert es als altes Pferd in den Offenstall und wird in Pension geschickt. Jetzt kommt niemand mehr und pflegt und hegt es täglich, reitet es, kümmert sich drum und hat Verständnis für die Zipperlein, die auftreten können. Ja, es wird sich um ihn gekümmert, aber nicht mehr in der Form, die es gewohnt war.
Aber bei alten Pferden ist es oft so wie mit alten Menschen. Die Gelenke wollen nicht mehr so, man friert schneller, die Muskeln sind nicht mehr so aktiv, alles wird eben alt. Solche Pferde sind oft dankbar für eine wärmende Decke, damit die alten Muskeln und Gelenke geschont werden.
Genauso verhält es sich mit Pferden, die teilweise in der Box, teilweise auf der Koppel gehalten werden. Bei kaltem oder auch stürmischem Wetter friert auch ein Pferd, das keine Möglichkeit hat, sich irgendwo windgeschützt hinzustellen. Persönlich hätte ich keine ruhige Minute, wenn dort draußen der Schneesturm bläst, es sich eiskalt anfühlt, man selbst mit einer Decke auf der Couch sitzt, aber das Pferd muss draußen im Unterstand ausharren, weil ich der artgerechten Haltung fröne.
Will man diese Outdoorpferden auch noch reiten … net bös sein, aber Muskeln sind im Winter nicht so weich, wie im Sommer. Wir frieren selbst auch, ziehen uns was an. Wir wissen, dass wir uns vor dem Sport aufwärmen müssen. Was ist da wohl für das Pferd angenehmer? Man setzt sich auf das vollkommen „kalte“ Pferd, oder eben auf ein Pferd, dessen Muskeln durch eine Decke vorgewärmt wurden?
Ich denke, wenn wir uns schon das Recht herausnehmen, auf Pferden zu reiten, deren Ansinnen es bestimmt nicht ist, uns herumzutragen, dann sollten wir auch Rücksicht auf seine möglichen Bedürfnisse nehmen. Ist ein Pferd verschwitzt, stellt man es nicht nass ins Freie. Schweiß wird von der Haut produziert, das heißt, Pferde sind durchweicht. Bei Regen werden die unteren Haarschichten oft nicht wirklich nass, sondern nur die oberen. Das Wasser rinnt ab. Aber jedes Pferd friert, wenn es nass ist und ein böser, kalter Wind weht. Es tut einem nicht weh, sein Pferd mit einer Abschwitzdecke zu schützen und es hinterher zu wärmen.
Wir halten unsere Pferde nicht auf riesigen kilometergroßen Weiden, sondern oft nur auf kleinen Flächen, nicht selten im Matsch. Wir reiten unsere Pferde. Wir pflegen unsere Pferde, der eine mehr, der andere weniger. Wir holen regelmäßig den Schmied zum Ausschneiden oder Beschlagen. Wir nerven beim Tierarzt, wenn das Pferd nicht in Ordnung erscheint. Alles Dinge, die es in freier Wildbahn nicht gibt. Es gibt dort kein regelmäßiges, qualitativ hochwertiges Futter. Futter muss sich das Pferd selbst suchen. Mal ist es besser, mal schlechter. Es gibt dort logischer Weise keine Decken, keine Pflege, keinen Hufschmied und auch keinen Tierarzt. Wildlebende Pferde sind auf sich allein gestellt. Schaffen sie es, ist gut, schaffen sie es nicht, enden sie als Nahrungsquelle für Fleischfresser.
So will man sein lieb gewonnenes Pferd aber nicht halten, was ganz klar ist, deswegen würde ich die Haltung in der Obhut des Menschen und die freilebende Haltung, die oft als artgerecht bezeichnet wird, differenzieren. Niemand hält sein Pferd „artgerecht“ der es reitet, denn das Pferd wurde nie erschaffen, um Menschen durch die Gegend zu treten. Dieses Recht haben wir uns genommen.
Also, Pferde frieren tatsächlich und es ist keine Todsünde, sein Pferd mit einer Decke zu schützen, denn wir reiten ja auf keiner toten Platte, sondern auf Muskeln, Sehnen, Bändern und Knochen, die geschützt bzw. gepflegt gehören. Es ist auch kein Verbrechen, ein Pferd nach dem Reiten mit einer Abschwitzdecke vor Zugluft zu schützen, denn wir alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn man geschwitzt hat und dann nach und nach auskühlt, mit all dem nassen Klamotten am Leib. Angenehm ist was anderes. Ist bei Pferden nicht anders.
Es ist nicht schön, sein Pferd draußen im grauslichsten Wetter stehenzulassen, sodass die Schneeschicht auf seinem Rücken wächst, ihm die Eiszapfen vom Körper hängen und das Eis an ihm klebt. Pferde halten viel aus, das stimmt … aber muss das wirklich sein, bei unserem heutigen Verständnis für Pferde???
Unsere Pferde waren uns noch nie böse, im Winter eine Decke zu bekommen. Sie trinken warmes Wasser (was übrigens Koliken vorbeugt, da Pferde bei einer großen Aufnahme von Raufutter oft zu wenig trinken, da das Wasser eiskalt ist. Sie trinken deutlich mehr, wenn das Wasser warm ist), bekommen ihr Kraftfutter, gemischt mit Heucops natürlich auch aufgeweicht und warm (wir hatten noch nie eine Schlundverstopfung) und Pferde, deren Gelenke schon zicken, bekommen in der Box Wärmebandagen, damit die Gelenke nicht auskühlen. Wir ziehen die Boxenhaltung der rund um die Uhr Offenstallhaltung vor, da die Pferde weniger aneinander kleben. Man kann die Futteraufnahme besser kontrollieren, erkennt schneller, wenn etwas nicht in Ordnung ist, kann das Pferd besser medizinisch versorgen, sollte es nötig sein und es hat keinen Stress beim Fressen, da ihm niemand etwas wegnimmt. Ich habe ein gutes Gefühl, mein Pferd gut versorgt zu haben und muss mir bei Schneesturm oder 15 Grad minus keine Sorgen machen, dass mein Pferd friert.
Vielleicht ist dies nur ein Gedankenanstoß, ein wenig anders drüber nachzudenken, ob ein Pferd eine Decke braucht oder nicht.